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Kulturwissenschaftliche Fakultät

Facheinheit Sozial- und Kulturanthropologie

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Vortrag von Felix Gaillinger: Die Dosis macht das Gift. Rationalisierung, Emotionalisierung und das kontraktualistische Selbst in Unterhaltskonflikten junger Volljähriger gegen ihre Väter

11.01.2022, 18.30 Uhr
RW I - S 57 und Zoom

Abstract

Junge Volljährige im Unterhaltsstreit gegen ihre Väter* sind Subjekte am Rande und außerhalb des Diskurses. Sie sind nicht mehr minderjährig und damit nicht mehr in jenen Studien und Statistiken mitgedacht, die sich aus einer lebensweltlichen Perspektive mit dem Alltag Allein-erziehender und ihrer Kinder beschäftigen (vgl. Jochim 2020; vgl. Lenze / Funke 2016; vgl. Heiliger / Wischnewski 2003; vgl. Andreß / Borgloh / Güllner / Wilking 2003). Gleichzeitig durchlaufen sie ein prekäres Ausbildungsverhältnis und sind noch nicht finanziell selbstständig.

Aus der Akteur*innenperspektive von jungen Volljährigen kann dieses Dilemma nur durch das Erringen der (mit der Volljährigkeit) verweigerten Ressource Unterhalt aufgelöst werden.

Gleichsam sehen sie sich mit dem Rückzug wohlfahrtsstaatlicher Leistungen konfrontiert: Mit dem 18. Geburtstag fällt das Recht auf Unterhaltsvorschuss weg – eine Kompensationsleistung, sollte sich ein Elternteil weigern, den Unterhalt zu zahlen – ebenso wie die rechtsvertretende Beistandschaft durch das Jugendamt. Die 19-jährige Studentin Chiara spricht von einem Bruch zwischen ihrer Alltäglichkeit und den gesetzlichen Neuregelungen: „Eigentlich ändert sich ja nichts außer der Zahl im Ausweis. Weil ich meine, am Tag davor habe ich genauso gelebt wie am Tag danach. Und auf einmal wirst du mit so einer Verantwortung in gewisser Weise einfach stehengelassen.“

Durch die aktivierende und anerkennungsökonomische Rekonfiguration sozialstaatlicher Regelungen (vgl. Lessenich 2008; vgl. Lessenich 2009) – denn mit ihrer Volljährigkeit müssen die Kinder nun selbst den Unterhalt einstreiten und sich als bedürftig und die Väter als leistungsfähig demaskieren – entsteht ein spezifischer Modus von Vulnerabilität.

Basierend auf den Ergebnissen seiner ethnographischen Masterarbeitsforschung wird er auf die ambivalente Rolle eingehen, die das Jugendamt in diesen Konflikten spielt. Anhand empirischer Fallbeispiele, in die neben Interviews auch die Analyse persönlicher Briefe eingeflossen ist, zeigt er auf, wie staatliche Institutionen selbst zum Teil von Taktiken und Strategien im Unterhaltsstreit werden und dabei zwar mit dem 18. Geburtstag der Charakter der rechtsvertretenden Beistandschaft verloren geht, aber dennoch ein fundamentaler Einfluss auf die Transferbeziehung zwischen jungen Volljährigen und ihren Vätern genommen werden kann.

Es wird dabei nicht zuletzt durch die Berücksichtigung jener Praxis, die entgegen und gewissermaßen trotz rechtlicher Regelungen entwickelt wurde, aufgezeigt, welche Rolle hier auch Prozesse der Rationalisierung und der Emotionalisierung spielen. Mit der Frage des Unterhalts müssen die begleiteten jungen Volljährigen eben gerade deshalb, weil zu den Vätern ein emotional aufgeladenes Verhältnis vorhanden ist, und das Unterhaltsrecht als „überaus doppelbödiges Instrument der Interessensdurchsetzung“ (Binder 2018: 58) höchster Rationalitäten keine Möglichkeiten bietet, dieses mitzudenken, die Beziehung zu den Vätern immer ein Stückweit privat und autonom mitverhandeln. Es geht den jungen Volljährigen nicht nur darum, ihren Rechtsanspruch durchzusetzen, sondern auch darum, das in vielen Fällen „eigentlich“ gute Verhältnis zum Vater so zu bearbeiten, dass irrationale Eskalationen vermieden werden. Hier greift das Konzept des Homo contractualis, wie es Ulrich Bröckling (2019) vor dem Hintergrund des Unternehmerischen Selbst argumentiert hat.

Felix Gaillinger, M.A. (er / ihn) ist wissenschaftliche Hilfskraft, Exposé-Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und lehrt am Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der LMU München. Er studierte Italianistik, Pädagogik / Bildungswissenschaften sowie ‚Sprache, Literatur und Kultur‘ und Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Università degli Studi di Bologna und der LMU München. Dort absolvierte er zum Sommersemester 2021 seinen Master of Arts mit der Arbeit Prekärer (Unter-) Halt. Junge Volljährige im Unterhaltsstreit gegen ihre Väter. Strategien und Taktiken und die Rolle von Institutionen (Betreuung: Prof. Irene Götz). Thematische Schwerpunkte sind (anti-)klassistische Theorie und Praxis, Familienforschung, soziale Mobilität und Biographie- und Prekarisierungsforschung.

*Es handelt sich bei dieser geschlechtlichen Achse um ein grundlegendes Datum seines Forschungsfeldes.

Link zu den Zoom Einwahldaten

Verantwortlich für die Redaktion: Nadja Bscherer

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